In der Unterrichtseinheit „Kreatives Schreiben“ verfasste Marco Rofrano aus der 9a die folgende Kurzgeschichte. Viel Spaß beim Lesen!
Der Moment, der alles veränderte
Ein Moment, was kann ein Moment alles verändern? Manche würden sagen: Gar nichts.
Um etwas zu verändern, braucht es Zeit. Ich würde sagen, seht selbst:
Tick… tack… tick… tack. Sekunde um Sekunde verging, doch die Zeit wollte es nicht. Die Mathestunde zog sich schier endlos lang. Jedes Mal, wenn ich auf die Uhr schaute, schien weniger Zeit vergangen zu sein. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie rückwärtslief?
Draußen schien die Sonne, durch ein gekipptes Fenster waren Kinder und der Lärm einer nahen Straße zu hören. Ich saß hier zusammen mit meinen 19 anderen Klassenkameraden im stickigen Klassenzimmer fest. Unser Lehrer stand vorne mit seinem Overheadprojektor und erklärte irgendwas von Ableiten und Funktionen umstellen. Ich hatte schon in der 8. Klasse aufgehört zu versuchen, Mathe zu verstehen, und auch jetzt in der 11. Klasse verstand ich absolut nichts.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, er bleib an der Uhr hängen. Noch 5 Minuten und der Unterrichtwäre endlich vorbei. Der Grund für meine Ungeduld saß zwei Reihen rechts vor mir. Sie schrieb gerade irgendetwas von der grünen Kreidetafel ab. Wie immer mit dem gleichen Füller. Aus dem gleichen Mäppchen. Seit der 5. Klasse. Und sind wir mal ehrlich, wer nutzt nach sechs Jahren Schule noch die gleichen Schulsachen? Nur ein ordentlicher, disziplinierter Mensch. Ein Mensch wie sie. Und das war nur eine der Eigenschaften, die ich an ihr so schätzte. Eigenschaften, die ich über die letztenzwei Jahre kennengelernt hatte.
Die letzten fünf Minuten des Unterrichts gingen mit solch einer Geschwindigkeit vorüber, dass selbst einem Faultier langweilig geworden wäre. Ich ging wie jeden Tag zur Bushaltestelle. Über den Schulhof, dann bog ich links in eine kleine unscheinbare Seitengasse ein. Und wie jeden Tag stand sie schon da. Außer mir würde niemand um diese Uhrzeit an der Halltestelle warten. Wie immer. Seit der 5. Klasse. Ihr Bus kam immer zwei Minuten vor meinem. Meiner würde mich in ein dichtes Pflaster aus Hochhäusern bringen, ihrer sie weiter in die Innenstadt zu einem großen Einfamilienhaus.
„Hey“, begann ich das Gespräch, „wie fandest du Mathe?“ Als Antwort kam ein: „Ganz okay, du hast heute so abwesend gewirkt. Alles Okay?“ Ihr war es aufgefallen? Wenn ihr das aufgefallen war, was war ihr dann noch ins Auge gesprungen? Meine angespannte Haltung, wenn sie in der Nähe war? Meine Blicke, die ich ihr immer zuwarf, wenn ich dachte, ich sei unbeobachtet? Darüber konnte ich mir aber jetzt keine Gedanken machen.Ich wollte sie schließlich noch etwas fragen: „Ja, alles okay. Ähm… ich wollte dich noch etwas fragen.“ In diesem Augenblich war mein Gehirn vollkommen leer. Ich konnte die Sekunden dahinrinnen sehen. Als ich nach einem Moment nichts sagte, schaute sie mich fragend an. „Ich wollte dich, ähm, fragen, ob du…“
Doch da wurde ich schon vom heranfahrenden Bus unterbrochen. Ohne ein weiteres Wort stieg sie in den Bus. Sie warf mir noch einen letzten Blick zu. Später würdeich sagen, dass das der Moment war, der alles veränderte. Dieser Moment, ihr mitleidiger Blick, war der schlimmste Moment in meinem ganzen Leben, der alles veränderte. Zwei Jahre, 730 Tage, kamen mir in diesem Moment vollkommen verschwendetvor.